Topic outline
- EinführungMedien im allgemeinen und digitale Medien im Besonderen sind keine Selbstläufer in Lehr-Lernprozessen. Ihre Gestaltung und Einbettung muss ausgehend von den Rahmenbedingungen und den Voraussetzungen der Auszubildenden wohl überlegt sein, um die Lehr-Lern-Prozesse wirksam unterstützen zu können (vgl. bspw. Berliner Didaktikmodell). Erfolgreich nutzbar sind die (digitalen) Medien nur dann, wenn Lehrkräfte und Ausbilder*innen neben Medienkompetenzen insbesondere medienpädagogische und didaktische Kompetenzen vorweisen können.Im Rahmen des vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) durchgeführten Projektes SoKo VR wurde ein einfaches didaktisches Setting entwickelt, das für den Einsatz an unterschiedlichen Lernorten der Berufsbildung eine größtmögliche Variabilität zulässt. Es gereicht Technologie-Neulingen als Einstiegshilfe und bietet den Experten große Gestaltungsfreiheiten.Nachfolgend wird das didaktische Setting eingeführt und dargestellt.
- Förderung von Sozialkompetenz in der Ausbildung
Förderung von Sozialkompetenz in der Ausbildung
Oberstes Ziel beruflicher Bildung ist die Förderung von beruflicher Handlungskompetenz (vgl. BBIG). Die Handlungskompetenz lässt sich in Anlehnung an Roth (1971) und Reetz (1999) in Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz unterteilen. Deren Förderung ist in den Ausbildungsrahmenlehrplänen beschrieben.
Sozialkompetenz bezeichnet dabei "die Bereitschaft und Fähigkeit, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen, zu verstehen sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Hierzu gehört insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität.“
Lehr-Lernsituationen sollten es demnach ermöglichen, Beziehungs- und Kommunikationssituationen zu erfassen und verstehen zu können. Lernende werden dadurch in die Lage versetzt, rational und verantwortungsbewusst mit verschiedenen Kommunikationssituationen umzugehen. Sozialkompetenz soll es ermöglichen, zwischen Ansprüchen der sozialen Umwelt und eigenen Interesse Kompromisse zu schließen. Die soziale Kompetenz basiert überwiegend auf unbewusstem Wissen und wird über Sozialisation und Erfahrung entwickelt und im Verhalten von Menschen in konkreten Situationen sichtbar (vgl. Kanning 2015, S. 3f.).
Automatische Steuerung des Sozialverhaltens: Um kognitive Kapazitäten zu sparen, läuft unser Verhalten in der Regel routiniert, automatisch und unbewusst ab. Dabei werden Verhaltensprogramme abgerufen, die durch Sozialisations-, Entwicklungs- und Bildungsprozesse erworben wurden. Den Kern dieser Programme bildet eine Situationsanalyse, in der Anforderungen und individuelle Bedürfnisse abgeglichen werden. Auf dieser Basis wird ein zuvor erlerntes Verhalten abgerufen. Sind Ziele und Ansprüche kongruent bzw. werden diese verwirklicht, ist das Verhalten erfolgreich und abgeschlossen. Trifft dies hingegen nicht zu, erfolgt eine erneute automatisierte Situationsanalyse (vgl. Kannning 2015).
Greifen die Routinen nicht, tritt das Bewusstsein auf den Plan, um neue Verhaltensmöglichkeiten zu konstruieren (Handeln).
Elaborierte Steuerung des Sozialverhaltens: Beim elaborierten Handeln in sozialen Situationen durchbricht man die Routinen und setzt sich bewusst mit der Situation auseinander und denkt unterschiedliche Optionen und Folgen durch. Fällt die Entscheidung für eine Optionen, setzt man sein Wissen, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten bewusst ein. Werden Ziele und Ansprüche verwirklicht, ist die Situation abgeschlossen. Ist das nicht der Fall, führen Menschen eine Evaluation und Reflexion des Handelns durch, um Konsequenzen und Fehlschläge zu analysieren. Erst dann geht es auf Basis des Gelernten in eine erneute Situationsanalyse.
Bezwecken Bildungsprozesse die Stärkung von Sozialkompetenz, gilt es dieses elaborierte Verhalten anzuregen. Insbesondere die Phasen der Analyse von Verhaltensoptionen und der Evaluation und Reflexion sollten dabei maßgeblich begleitet und unterstützt werden.Die Förderung von Sozialkompetenz kann angeregt werden durch
- den Aufbau von Wissen,
- die bewusste angeleitete Wahrnehmung und Reflexion von Kommunikationssituationen, bspw. von Konflikten, und
- die aktive Erfahrung (Verhalten).
- Übersicht zum didaktischen Setting
Übersicht zum didaktischen Setting
Um die Förderung von Sozialkompetenz unter den oben genannten Annahmen zu begleiten, sieht das bei SoKo VR entwickelte didaktische Setting im ersten Schritt (1) eine Einführung und Vorbereitung auf die Erfahrungen vor. Sodann kann in einem zweiten Schritt (2) eine (angeleitete sowie begleitete) Erfahrung der VR-Einheiten erfolgen. Neben dem Erlebnis der 360°-Videos ist der dritte Schritt (3), die Reflexion und Bearbeitung der Situation, der wohl wichtigste Schritt zur (Weiter-)Entwicklung der Sozialkompetenz.
Die zentralen Schritte des Konzepts werden nachfolgend etwas ausführlicher skizziert.
- Schritt 1: Einführung und Vorbereitung
Schritt 1: Einführung und Vorbereitung
der Vorbereitung haben die Lehrkräfte und Ausbilder*innen die Aufgabe, die Auszubildenden bei ihrem jeweiligen Entwicklungsstand abzuholen und für die Thematik zu sensibilisieren. Ziel ist dabei, dass alle Beteiligten mit dem gleichen Verständnis starten.
Inhaltliche Vorbereitung: Um dieses Ziel zu erreichen, stehen unterschiedliche Erklärvideos und Arbeitsblätter zur Verfügung.
Die Begleitmaterialien finden Sie im Bereich 360°-Videos & Begleitmaterialien.
Die Begleitmaterialien können Sie genauso gut auch für die Nachbereitung oder in gänzlich anderen Lehr-Lern-Settings einsetzen. Hier sind Ihrer pädagogischen Freiheit und Ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt.Technische Vorbereitung: Zudem bietet es sich an, die Auszubildende mit der VR-Technologie vertraut zu machen und auf die Erfahrung mit den 360°-Videos vorzubereiten. - Schritt 2: VR-Erfahrung (360°-Videos)
Schritt 2: VR-Erfahrung (360°-Videos)
Nach der Vorbereitung können die Auszubildenden die 360°-Videos betrachten und durcharbeiten. Folgende Szenarien stehen zur Auswahl:
- Konfliktszenario „Bring- und Holschuld“ (Branche: Handwerk)
- Konfliktszenario „Personaleinsatzplanung“ (Branche: Handel)
- Konfliktszenario „Umgang mit Fehlern“ (Branche: Industrie) - in Vorbereitung
Die VR-Einheiten zu den Konfliktszenarien finden Sie im Bereich 360°-Videos & Begleitmaterialien.
Im Sinne des elaborierten Steuerungsmodells sollten die Auszubildenden nach Möglichkeit mit klaren Arbeitsaufträgen in die Exploration der VR-Umgebung gelassen werden. Dies ist besonders dann wichtig, wenn jede*r Auszubildende alleine exploriert und nicht unmittelbar begleitet werden kann. Die Lehrkräfte und Ausbilder*innen müssen vor dem Videostart festlegen , welche Videoszenen durchgegangen werden sollen. Das Ansehen aller Perspektiven und Handlungsoptionen in einem Durchlauf ist in der Regel nur wenig zielführend. Folgende Varianten könnten gewählt werden:
- Variante 1 - Sichtweise des Auszubildenden erfahren: Durchleben der Konfliktsituation und des Kommunikationsverhaltens ausschließlich aus der Perspektive des Auszubildenden.
- Variante 2 - Perspektivübernahme Ausbilder*in: Durchleben der Konfliktsituation und des Kommunikationsverhaltens ausschließlich aus Sicht des Auszubildenden.
- Variante 3 - Handlungsoption 1 beiderseits erforschen: ... Auswahl einer der verfügbaren Handlungsoptionen und Erfahrung der Perspektive des Auszubildenden und des Ausbildenden.
Ferner könnten Lehrkräfte bzw. Ausbilder*innen Leitfragen formulieren, die bei der Analyse und Reflexion der Konfliktsituation und der sich ergebenden Verhaltensoptionen nach dem Handlungsmodell von Kanning (2015; s.o.) helfen. Diese dienen der Vorbereitung für die Reflexionsphase im Anschluss an die Exploration. Hier ein paar Beispiele:- Was hat eigentlich zum Konflikt geführt (Ausgangssituation)?
- Welche Ansprüche werden von Seiten der sozialen Umwelt an die Protagonisten herangetragen?
- Welche Interessen/Ziele verfolgen die Akteur*innen?
- Welche Effekte hat das Verhalten der Akteur*innen auf das jeweilige Gegenüber? Welchen Effekt hat das Verhalten auf dich?
- Wie erfolgreich ist das Verhalten der Akteur*innen? Warum erreichen sie ihr Ziel bzw. warum erreichen sie ihr Ziel nicht?
- Welche Verhaltensoptionen bieten sich den Akteur*innen? Welche hätte es aus deiner Sicht noch gegeben?
Zeitlicher Umfang (Minimum): Den zeitlichen Umfang der Einheiten sollten Sie in Abhängigkeit der didaktischen Erfordernisse planen. In den im Projekt durchgeführten Erprobungen hat sich gezeigt, dass ein Umfang von zwei Unterrichtseinheiten (á 45 Minuten) bereits gute Lernerfahrungen hervorbringt.
- Schritt 3: Reflexion der Erfahrungen und Ergänzungen
Schritt 3: Reflexion der Erfahrungen und Ergänzungen
Die Nachbereitung der VR-Einheiten dient einerseits der Zusammenführung der unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen sowie der Beantwortung der Leitfragen, die ggf. in die Erfahrung mitgegeben wurden. Andererseits dient sie der Ergebnissicherung.
Analyse und Reflexion: Der Fokus sollte dabei wiederum auf die beiden Aspekte des elaborierten Handlungsmodells gelegt werden: Im Vordergrund stehen also die Analyse von (alternativen) Verhaltensoptionen sowie die Evaluation und Reflexion der Erfahrungen und möglicher Konsequenzen.
Anknüpfen an persönliche Erfahrungen: Ebenfalls ist es denkbar, in der Reflexion auf persönliche Erfahrungen der Auszubildenden zu rekurrieren und die Handlungsoptionen und Verhaltensweisen zu vergleichen.
Anwendung des gelernten in Rollenspielen oder realen Kommunikationssituationen: Zur Vertiefung und Routinisierung des Gelernten bietet es sich an, wenn Auszubildende die zentralen Verhaltensweisen in Rollenspielen erproben und einüben. Ferner kann auch ein entsprechender Transferauftrag in die berufliche Praxis erfolgen. Die Erfahrungen der Transferphase sollten allerdings in einer gesonderten Reflexionsphase aufgegriffen werden.
Inhaltliche Vertiefung mittels Begleitmaterialien: Ebenfalls können Sie die Begleitmaterialien im Anschluss an die Erfahrung einbringen. Theorieinhalte lernen sich deutlich leichter, wenn man sie mit tatsächlichen Erfahrungen verknüpfen kann.
Die Begleitmaterialien finden Sie im Bereich 360°-Videos & Begleitmaterialien.
Quellen:
Kanning, Uwe P. (2015): Soziale Kompetenzen fördern. Göttingen u.a.: Hogrefe
Reetz, Lothar (1999): Zum Zusammenhang von Schlüsselqualifikationen – Kompetenzen – Bildung. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Bd. 37, Bonn 1999, S. 13 - 20. Online unter: https://www.sowi-online.de/book/export/html/397 (Stand: 07.04.2020).
Roth, Heinrich (1971). Pädagogische Anthropologie. Band II: Entwicklung und Erziehung. Hannover: Schroedel.